Das grundlegende Bedürfnis nach einem ruhigen Schlafplatz und einem Rückzugsort kann im Kapitalismus – zumindest legal – nur durch Kauf bzw. Erbe von Wohnraum oder durch Miete befriedigt werden. Wer nicht zu den knapp 18 % privilegierter Berliner*innen gehört, die Eigentümer*innen ihrer Wohnung sind, kann deshalb nur hoffen, eine fremde Wohnung gegen Bezahlung nutzen zu dürfen. Sie*er muss zusehen, wo er*sie bleibt.
Warum geht es uns Mieter*innen so dreckig?
Da Wohnraum in Großstädten knapp, die Nachfrage aber riesig ist, ist der Preis dafür nach oben nur durch die Zahlungsfähigkeit der Mieter*innen oder Kaufwilligen begrenzt. Gerade die Knappheit garantiert „interessante Anlagemöglichkeiten“. Deshalb fließt viel Geld z.B. von weltweit agierenden Immobilienfonds in den Berliner Wohnungsmarkt. Deutschland ist überhaupt ein beliebtes Ziel von Investor*innen, weil hier höhere Profite winken als in vielen anderen europäischen Ländern. In Schweden, Österreich oder in den Niederlanden zum Beispiel gibt es abgesicherte „Sozialbau“-Segmente; der Wohnungsmarkt ist dort strenger reguliert und deshalb weniger lukrativ. In Schweden ist vor kurzem eine Regierung durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden, weil sie versucht hatte, den dortigen Wohnungsmarkt zu deregulieren, was zu den ungebremsten Mietsteigerungen geführt hätte, die den Mieter*innen in Deutschland das Leben schwer machen.
Schuften für die Miete
Deregulierungen und Knappheit haben (mit) dazu geführt, dass sich die Mieten bei Neuverträgen in Berlin innerhalb der letzten 10 Jahre verdoppelt haben; die Bruttolöhne sind nicht einmal halb so stark gestiegen. Etwa jeder siebte Haushalt in Deutschland gibt heute mehr als 40 % seines Einkommens für Miete aus. In vielen anderen Metropolen der Welt ist es ähnlich. Die steigenden Mieten zwingen die Menschen, wie im Hamsterrad zu arbeiten, um nicht obdachlos zu werden.
Allein in Berlin gibt es fast 10.000 Obdachlose. Gleichzeitig stehen von den etwa 2 Millionen Berliner Wohnungen mindestens 1,8%, also etwa 36.000 leer: mehr als genug, um allen Wohnungslosen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Die Eigentümer*innen aber lassen diese Wohnungen unter anderem deshalb leerstehen, weil sie damit rechnen, in einiger Zeit noch höhere Mieten verlangen und noch größere Gewinne einstreichen zu können, als eine Neuvermietung jetzt schon einbringen würde. Im Kapitalismus zählen Bedürfnisse nur, solange sich Profit aus ihnen schlagen lässt.
Nebelkerze Neubau
Da der Preis für Boden in Berlin sehr hoch ist, ist auch Neubau unglaublich teuer. In Berlin werden deshalb größtenteils Wohnungen im gehobenen bzw. luxuriösen Preissegment gebaut, die für die meisten nicht bezahlbar sind: nur so lassen sich trotz hohem Bodenpreis Profite erwirtschaften. Solange gewinnorientiert gebaut wird, wird es Mietsenkungen durch Neubau in Berlin deshalb nicht geben. Dass dieses Versprechen eine Lüge ist, lässt sich schon daran erkennen, dass es die sogenannten Expert*innen in den Gebetsmühlen der bürgerlichen Medien ständig wiederholen müssen.
Das Problem sind Profite mit der Miete!
Die Miete zerfällt in drei Teile. Die Kostenmiete deckt alle für den Bau und den Erhalt der Gebäude anfallenden Kosten. Viele Vermieter*innen in Großstädten halten diesen Posten über Jahre so niedrig, dass die Häuser verfallen, um dann plötzlich aufwändig saniert werden zu müssen. Den Mieter*innen diese Kosten (zuzüglich eines saftigen Zuschlags) dann als Mieterhöhung zu präsentieren, ist eine übliche Methode der Gentrifizierung.
Die Betriebskosten umfassen Reinigung, Müllabfuhr und Ähnliches. Zwar bieten die komplizierten Abrechnungen den Eigentümer*innen bzw. ihren Verwaltungen reichlich Gelegenheit für schäbige Extragewinne durch schlichten Betrug, ein Teil davon aber ist – wie bei der Kostenmiete – tatsächlich unvermeidlich.
Der aus der Lage der Immobilie resultierende Bodenpreis ist die Hauptquelle für Profite. Ihm ist zu verdanken, dass der Preis eines Hauses innerhalb weniger Jahre um ein Vielfaches steigen kann, obwohl nichts daran verbessert wurde; an ihm liegt auch, dass eine Wohnung in einer begehrten Lage doppelt oder dreimal so viel kosten kann wie eine vergleichbare Wohnung anderswo – eine bizarre Tatsache, die als normal sicher nur empfinden kann, wer in kapitalistischen Verhältnissen sozialisiert wurde. Diesem Teil der Miete stehen keine für Bau, Erhalt oder Unterhalt des Hauses notwendigen Ausgaben gegenüber; die Eigentümer*innen können ihn direkt als Gewinn verbuchen.
Wie hoch dieser Anteil ist, lässt sich mit Hilfe der von den sogenannten „Bauherren“ verwendeten „Peterschen Formel“ abschätzen. Ihr zufolge ist durchschnittlich mit einem Baupreis von 1.500 € pro Quadratmeter, einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 80 Jahren und jährlichen Instandhaltungskosten von 1.500 * 1,5 / 80 € oder 28,13 € pro Quadratmeter zu rechnen. Die Baukosten ließen sich durch eine 80 Jahre lang gezahlte monatliche Miete von 1,56 € pro Quadratmeter decken (die danach wegfällt), die Instandhaltungskosten durch zusätzliche 2,34 €. Rechnet mensch zu diesen 3,90 € noch Betriebskosten von etwa 1-2 € pro Quadratmeter hinzu, ergäbe sich eine Miete von 5-6 €. Damit wären alle Kosten abgedeckt – nur Profit ließe sich damit eben nicht machen.
Rassistische Extraprofite
Die Wohnungsknappheit verschärft rassistische Strukturen und geht zu Lasten der unteren Klassen, da mensch, um an das seltene Gut Wohnraum zu kommen, dem*r Vermieter*in auf immer absurdere Weise die eigene Zahlungsfähigkeit demonstrieren muss. In der Auswahl der Mieter*innen spiegeln sich sämtliche Vorurteile der herrschenden Klasse gegen Minderheiten und Arme. Slumlords nutzen die Not derjenigen aus, die vom regulären Mietmarkt wegen „falscher“ Einkommensklasse, „falschen“ Aussehens oder Nachnamens, wegen fehlender Papiere oder „falscher“ Familienverhältnisse ausgeschlossen sind, indem sie ihnen auf einem grauen Mietmarkt horrende Vermittlungsgebühren oder Wuchermieten abnehmen. Mit solchen Methoden häufte nicht nur die Familie Trump in New York ihr Vermögen an, sie sind auch Teil des Geschäftsmodells von Berliner Immobilienbesitzer*innen wie Gijora Padovicz, dem der Senat lieber mit gewaltsamen Polizeieinsätzen zur Räumung eines Hauses in der Liebigstraße zur Hand geht, als die illegalen Machenschaften im laufenden Vermietgeschäft aufzudecken.
Was tun?
Die Kämpfe um die Miete sind Kämpfe darum, wie viel des gesellschaftlich geschaffenen Mehrwerts in den Taschen der Wohnungseigentümer*innen landet. Es wäre durchaus möglich, Häuser und ganze Stadtviertel dem Markt zu entziehen, die Miete auf die Höhe der Kostenmiete (+ Betriebskosten) zu drücken und Profite mit der Miete unmöglich zu machen. Dafür aber wären despotische Eingriffe in den Markt und ein rücksichtsloser Kampf gegen das Kapital nötig.
Schutz des kapitalistischen Eigentums ist Staatsziel
Die Charaktermasken des Kapitals sind allerdings flexibel und angriffslustig und sie haben gelernt, jeden Fortschritt als Rückschritt darzustellen und wieder rückgängig zu machen und jeden Rückschritt als Fortschritt zu verkaufen und noch weiter zu treiben. Ihrer Ideologie zufolge sind Eingriffe in den Wohnungsmarkt fatal, da ohne Aussicht auf Profit nicht gebaut und erhalten werden könnte. Die Vorstellung, dass Menschen auch in der Lage sind, für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse zusammen zu arbeiten, ohne sich gegenseitig auszubeuten, übersteigt naturgemäß ihren Horizont. Die unsozialen Folgen der Marktfreiheit dagegen verschweigen sie, obwohl sie sie genau kennen und gerne in Kauf nehmen. Wer die hohen Mieten in den Innenstädten nicht mehr bezahlen kann, der soll eben an den Stadtrand oder aufs Dorf ziehen; sie*er darf aber gerne ins Zentrum pendeln, denn die dort wohnenden Wohlhabenden brauchen ja schließlich jemanden, der sie mit Dienstleistungen versorgt. Das ist die stadtplanerische Vision der bürgerlichen Parteien.
Werden ausnahmsweise zögerliche Reformen wie der Mietendeckel in Angriff genommen, um den Berliner Mieter*innen wenigstens eine fünfjährige Atempause in Sachen Mietsteigerungen zu verschaffen, laufen die Parteien der herrschenden Klasse, von der wirtschaftsliberalen FDP über die konservative CDU zur faschistoiden AfD, Sturm dagegen. Findige Anwält*innen und Richter*innen beendeten den Versuch nach gerade einmal fünf Monaten, und viele Vermieter*innen und Immobiliengesellschaften zögerten nicht, die Mietnachzahlungen unter Androhung umgehender Kündigung einzufordern. Die Politik verteidigte sich mit dem lapidaren Hinweis, sie hätte die Mieter*innen ja vor Einführung des Mietendeckels dazu angehalten, die Mietdifferenz für genau diesen Fall aufzusparen – ein Hohn in einer globalen Pandemie, die für viele Einkommenseinbußen oder gar Jobverlust mit sich brachte.
Sand ins Getriebe!
Um das Schlimmste abzuwenden oder gar kleine Verbesserungen zu erreichen, müssen Senat und Regierung immer wieder durch außerparlamentarische Bewegungen zum Handeln gezwungen werden. Nahezu jeder Mietkampf, jede Hausbesetzung und jede verhinderte Zwangsräumung streut Sand ins Getriebe. Die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, der es gelungen ist, mehr als genügend Unterschriften von Menschen mit dem Privileg der Wahlberechtigung zu finden, bedeutet einen hoffnungsvollen und wichtigen Schritt in die richtige Richtung – obwohl dem Volksbegehren leider die Zähne gezogen wurden und die Enteignungsforderung auf Druck vor allem der SPD nur noch Empfehlungscharakter für die künftige Regierung haben wird. Die Antwort auf das Scheitern des Mietendeckels und die Zumutungen der Vermieter*innen können nur Protest, Widerstand und Forderungen nach noch weitergehenden Reformen sein.
Gegen den Kapitalismus!
Aber erst, wenn die Gesellschaft das Kapitalverhältnis überwunden hat, wird sie auch eine wirklich humane Antwort auf die Wohnungsfrage geben können: Von Marktdynamik und Profitstreben befreit, wären die Bewohner*innen der Häuser nicht nur geschützt vor Kündigungen aufgrund von Eigenbedarf oder vor horrenden Mieterhöhungen durch unnötige Modernisierungen; sie könnten auch basis-demokratisch über Verwendung und Instandhaltung entscheiden; ihre Häuser könnten mit flexiblen Wohneinheiten und Gemeinschaftsgärten und -werkstätten Raum bieten für neue soziale Wohn- und Lebensgemeinschaften und eine offenere, gemeinschaftliche Organisation vieler Alltagsaufgaben etwa bei der Kinder- und Altenbetreuung, bei der Hausarbeit und bei vielem mehr – sie könnten zu offenen Orten der Begegnung, der Versorgung, des Lernens und der Politik werden und schließlich zu Ausgangspunkten der kommunalen Organisation und Selbstverwaltung.
Bei der Wohnraumfrage geht es um viel mehr als um die Befriedigung eines Grundbedürfnisses – es geht um das Durchbrechen der kapitalistischen Monade, der Vereinzelung, der Verrohung und des Konkurrenzdrucks. Grund und Boden müssen dauerhaft der Verwertungslogik entzogen werden, damit wir alle endlich Raum für ein selbstbestimmtes Zusammenleben haben.
Für freies, selbstbestimmtes Wohnen für alle!