Coronabekämpfung – gegen das Kapital und seine Mutanten

Vor eineinhalb Jahren ist eingetreten, was – genau wie der drohende Klima- Kollaps – seit langem absehbar war: Die beispiellose Zerstörung intakter Ökosysteme führte zu einem viralen spillover und einer weltweiten Pandemie: Entwaldung, Wildtierhandel und Erderwärmung hatten wilde Tiere ihrer natürlichen Lebensräume beraubt, sie in engen Kontakt mit Menschen gebracht und ihre Krankheitserreger bekamen so die Chance, auf diese überzugehen. Nicht nur Covid-19, auch HIV, Ebola und das Zikavirus sind so entstanden. Die kapitalistische Vernutzung der Natur ist die Ursache dieser Pandemie und sie wird weitere hervorbringen.

Anders als z.B. die vietnamesische, australische oder kubanische Regierung erweisen sich die europäischen und viele andere Staaten als unfähig, angemessen auf diese Bedrohung zu reagieren. Sie führen vielmehr unbeirrt ihr Tagesgeschäft fort, das darin besteht, den kapitalistischen Verwertungsprozess mit auf Jahrzehnte angelegten Strategien zu befördern (etwa wenn es um den Zugang zu Rohstoffen, Förderung zukünftiger Technologien oder um die Eroberung wichtiger Märkte geht) und das dadurch verursachte Elend von Präsident*innen und anderen preiswerten Festredner*innen beweinen zu lassen. Sie gehen mit der Pandemie um, wie sie mit sozialen Katastrophen umzugehen gewohnt sind, und begannen dementsprechend erst zu handeln, als es für mehrere Tausend Menschen bereits zu spät war. Und auch dann setzen sie vor allem auf eine technische Antwort. Denn Impfstoffe und Intensivmedizin schützen und heilen nicht nur, sondern ermöglichen es der Pharmaindustrie auch, ihren Schnitt zu machen. Prävention und die Beseitigung der Ursachen stehen nicht auf ihrer politischen Agenda.

Insbesondere die deutsche Regierung versucht, die Pandemie fast ausschließlich durch Maßnahmen zu bekämpfen, die die Interessen der maßgeblichen Kapitalfraktionen der Exportindustrie nicht antasten: Geschäfte, Restaurants, Theater, Kinos, Clubs und Schulen wurden geschlossen, Bewegungsfreiheit und Privatleben drastisch eingeschränkt; Arbeiter*innen dagegen werden gezwungen, ihre Gesundheit in den Fabriken, Büros und öffentlichen Verkehrsmitteln aufs Spiel zu setzen, und wohnungslose Menschen mit dem Appell, sich in den eigenen vier Wänden zu schützen, verhöhnt. Wer sich auf der Straße oder bei der Arbeit infiziert, ist selbst schuld und selbst bei größeren Coronaausbrüchen in Fabriken wie z.B. bei VW in Hannover wird die Arbeit nur kurz unterbrochen. Diese Politik vermag gegen das Virus natürlich nur wenig auszurichten, belastet die oberen Schichten der Gesellschaft dafür aber kaum und die mittleren und unteren umso mehr; sie musste Widerstand provozieren.

Dass dieser Widerstand in Deutschland emanzipatorisch ausfallen sollte, war freilich kaum zu erwarten: Weil die Medien genauso zuverlässig schlecht über erfolgreiche Pandemiebekämpfung in anderen Ländern wie über das Leiden in den hiesigen Krankenhäusern informieren, unterschätzen viele die Krankheit und wissen nicht, dass sozialere und wirksamere Maßnahmen möglich wären. Außerdem bringt der herrschende Konkurrenzdruck eine „No risk no fun“-Mentalität und eine Unfähigkeit zur Empathie hervor. Die Wut, die sich in den Protesten gegen die Coronamaßnahmen Bahn bricht, ist daher blind und von Todesverachtung, nämlich von einer Missachtung des eigenen Lebens und desjenigen der Anderen geprägt; die Proteste konnten zum Spielfeld irrationaler, antisemitischer und anderer rechtsextremer Verschwörungstheorien werden.

Diese Art von Protest kommt der Regierung gerade recht. Der rechte Wahnsinn bietet ihr einerseits die Möglichkeit, sich als regulierende Vernunft aufzuspielen, und gibt andererseits ihrer Missachtung wissenschaftlicher Prognosen und Sabotage von Maßnahmen, die tatsächlich wirksam wären, willkommene Rückendeckung. Der freundschaftliche Umgang der Polizei mit den Pandemieleugner*innen und Impfgegner*innen drückt nicht nur die privaten Neigungen einzelner Polizist*innen aus.

Nachdem es lange so aussah, als müsste die Linke mit antifaschistischen Aktionen die herrschende Politik gegen die Corona-Leugner*innen verteidigen, befindet sie sich nun wieder in offenem Widerspruch gegen die Regierung. Mit der Zero-Covid-Kampagne haben radikalreformerische Forderungen eine breitere Öffentlichkeit gefunden. Auch wir treten für einen solidarischen Lockdown, die Freigabe der Impfstoffpatente und bessere Ausstattung und Entlohnung im Gesundheitssystem ein.

Wir finden solche Forderungen aber nur sinnvoll, solange sie in taktischer Absicht vorgebracht werden und die strategische Orientierung auf die Überwindung von Staat, Nation und Kapital nicht aus dem Blick gerät. Denn es ist der kapitalistische Konkurrenzkampf, der die Unternehmen – bei Strafe der Pleite – zwingt, ihre Profitinteressen gegen alle andern Unternehmen und gegen die von ihren Lohnzahlungen abhängigen Menschen durchzusetzen und gegen jede Vernunft die menschlichen und natürlichen Ressourcen bis zur Erschöpfung zu plündern. Solange noch nicht alle wilden Tiere ausgestorben sind, wird dies zu immer neuen spillovers und pandemischen Wellen führen. Alle Maßnahmen gegen die Pandemie müssen nutzlos bleiben, solange nicht der auf der Natur lastende kapitalistische Verwertungsdruck beseitigt ist.

Eine solidarische Gesellschaft, in der an die Stelle des Herrschaftsinstrumentes Staat eine Form gleichberechtigter Koordination und Organisation treten würde, wäre nicht nur in der Lage, auf eine bereits entstandene Pandemie besser zu reagieren. Sie ließe sich beim Kampf gegen ein Virus nicht von den kurzfristigen und partikularen Interessen einer herrschenden Klasse ablenken, sondern würde rechtzeitig alle Ressourcen auf die Abwehr verwenden und könnte Medikamente und Impfstoffe allen gleichermaßen und kostenlos zur Verfügung stellen. Nur eine Gesellschaft, in der die Ware-Geld-Beziehung und die Profitorientierung aufgehoben sind und deren maßgebliche Triebkraft nicht mehr die Kapitalverwertung ist, wird auch verhindern können, dass sich solche Pandemien wiederholen und die Klimakrise ungebremst fortschreitet. Erst die befreite Gesellschaft kann die reflektierten Bedürfnisse der Menschen befriedigen und Menschheit und Natur aus ihrem Status als bloßem auszubeutenden Arbeitskräfte- und Rohstoffreservoir emanzipieren.